MAI
1.
Ich bin mir sicher, dass ich doch noch helfen kann. Wenn Sie sich trotz allem dazu entscheiden würden, Sir Peter, mich Staggs Gruppe zuzuteilen, wäre ich überaus dankbar.
Habbakuks Scheitern hatte mich getroffen wie ein Keulenschlag. Es schien zu bestätigen, dass ich mich auf einem stetigen Weg des Niedergangs befand und nicht nur eine Reihe einzelner Unglücke durchlebt hatte. Ich fragte mich langsam, ob Erfolg und Glück mir jetzt für immer verwehrt bleiben sollten.
Nun musste ich auf Knien zurück zu Sir Peter kriechen und ihm wieder einen Brief schreiben. Es war mir schlicht und einfach peinlich. Der Brief war nicht gerade ein eloquentes Plädoyer zu meiner Verteidigung, aber es war das Beste, was ich in Anbetracht der Umstände zu Papier bringen konnte.
Während ich die Amwell Street hinunter zum Briefkasten ging, dachte ich wieder an James Stagg - meinen früheren Mentor in Kew, den Mann, der ausgewählt worden war, die meteorologischen Vorbereitungen für die Invasion zu leiten. Es wäre eine große Ehre gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten, aber ich machte mir jetzt keine großen Hoffnungen mehr.
In vieler Hinsicht war es ziemlich überraschend, dass Sir Peter gerade ihn als Leiter der D-Day-Gruppe ausgewählt hatte. Dr Stagg war Lehrer der Naturwissenschaften an der George Heriot's School in Edinburgh gewesen, bevor er 1924 zum Met Office wechselte. Wie Ryman hatte er eine Zeitlang am Eskdalemuir Observatory in Dumfriesshire gearbeitet, aber seine Fachgebiete dort waren Erdmagnetismus und Polarlichter gewesen und nicht die Meteorologie.
Er war eigentlich ein Geowissenschaftler und kein Meteorologe, auch wenn er, soweit ich weiß, im Irak irgendwann auf dem Gebiet gearbeitet hatte. Er hatte auch an einer Polarexpedition in die kanadische Arktis teilgenommen, bevor er Leiter der Abteilung in Kew geworden war.
War dort die Kälte in sein Herz gekommen, fragte ich mich, oder rührte seine oft kühle, unnahbare Ausstrahlung von den Traditionen der Covenanters her? Denn wie Ryman war er ein schwieriger Mensch - nur fehlte ihm dessen Verspieltheit.
Als ich den Brief an Sir Peter abgeschickt hatte, ging ich wieder ins Three Kings. Ich hatte das Gefühl, in meiner Schande gefangen zu sein wie ein Hamster im Rad, war aber auch gleichzeitig dankbar für den alles überwindenden, die Unsicherheit besiegenden Alkohol. Heute verstehe ich, dass er für mich scheinbar die Zeit anhielt; das erbärmliche Gefühl, endlos zu warten oder gleichermaßen endlos zu spät zu kommen, wurde ein Teil von mir selbst, absorbiert von den Gezeiten meines Körpers, und war nicht mehr etwas, das mir von außen aufgezwungen wurde. Ich erinnere mich daran, wie Brecher mir Jahre später - bei einer Tasse des starken, aromatischen Kaffees, den er gerne in einem bestimmten Cafe in Cambridge trank - erklärte, dass die menschliche Vorstellung von Zeit untrennbar an die inneren Rhythmen des Blutes gebunden seien.
Einige Stunden später - es dämmerte bereits - wachte ich durstig, schweißgebadet und mit Kopfschmerzen in meinem Zimmer auf, was wohl mit dem Alkohol zu tun hatte. Ich ging nach unten, um mir einen Tee zu kochen. Am liebsten hätte ich ihn mit viel Zucker getrunken, was den Kater meistens vertreibt, aber damals mussten wir ohne auskommen.
Claremont Square lag auf einem Hügel. Wenn ich mich auf eine Bank stellte, konnte ich zum King's Cross hinuntersehen, wo eine Kuppel aus rosafarbenem Licht - die geballte Luftverschmutzung der Eisenbahn und der Fabriken - den ohnehin schon bunten Horizont noch farbenfroher machte. Wie seltsam es ist, dass manche der schönsten Anblicke am Himmel durch Schadstoffpartikel wie Rauch und Chemikalien entstehen. Der Mond war blassgelb mit einem breiten blauen Hof, der sich durch die bauschigen Wolken langsam wieder in einem Gelbton verlor.
Rosa, Gelb, Blau: Es war wie im Kino, so schön, dass ich fast hätte vergessen können, dass wir uns im Krieg befanden. Natürlich hielt man immer Ausschau nach Flugzeugen oder dem Blitzen von Flak-Feuer, doch an diesem Abend hatte ich den Eindruck von Ruhe, von einer tödlichen Normalität. Es war, als würde mein Schicksal dort oben auf die Leinwand des Himmels gemalt - und ich hatte das unbehagliche Gefühl, dass der Maler die wahre Perspektive verbarg.
Licht, Farbe: So erleuchtend und unterhaltend sie auch sind, können diese Größen doch von den Tatsachen ablenken, wenn sie in einem schillernden, wirbelnden Strom durch die Pupille fließen und beim Beobachter falsche Wahrnehmungen auslösen, zweifelhafte Annahmen und erhebende Phantasien. Die bedeutendste unter ihnen ist der Glaube, dass am Morgen alles wieder gut sein werde.